Prof. Dr. Achim Kramer
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2017 erhielten drei amerikanische Chronobiologen für die Entschlüsselung der inneren Uhr den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Sie konnten zeigen, dass verschiedene Gene bei Tieren oder Menschen den Takt vorgeben – weshalb zum Beispiel Lebensfunktionen wie Schlaf, Verdauung, Hormonausschüttungen oder Blutdruck einem individuellen Tag-Nacht-Rhythmus folgen.

Ich las bereits Ende der 1990er Jahr eines Morgens in einer Zeitung, dass ein Chronobiologe an der Harvard Medical School ein „Uhr-Gen“ entdeckt hatte. Das hatte mich damals fasziniert. Ich nahm sofort Kontakt auf, flog nach Boston in die USA, und seitdem lässt mich die innere Uhr nicht mehr los.

Aber was ist die innere Uhr genau?

Es wäre fatal, wenn jedes Organ im Körper seine Arbeit nach seiner eigenen inneren Uhr verrichten würde, ohne sich mit den anderen Körperteilen abzustimmen. Das wäre so ineffektiv wie eine Rudermannschaft ohne gemeinsamen Taktgeber. Nur wenn alle biochemischen Prozesse wie Zahnräder koordiniert ineinandergreifen, funktioniert unser Körper. Diese Aufgabe übernimmt ein gerade mal reiskorngroßes Areal in einem sehr alten Teil unseres Gehirns: der suprachiasmatische Nucleus im Hypothalamus. Abgekürzt wird er auch SCN genannt.

Dieser kleine Kern ist bestens vernetzt. Licht ist einer der wichtigsten äußeren Taktgeber für die innere Uhr. Der SCN besteht aus ungefähr 100.000 Nervenzellen und bekommt von der Netzhaut im Auge über die Sehnerven Informationen zur Helligkeit der Umwelt, um die innere Uhr mit der äußeren Welt zu synchronisieren.

70% aller Menschen in Deutschland und in Europa leben heutzutage dauerhaft gegen ihre innere Uhr [1], gerade diejenigen die im Schichtbetrieb arbeiten - Ärztinnen und Ärzte, Feuerwehr, Pflegefachkräfte, etc. - geschätzt jeder fünfte Beschäftigte. Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass das Risiko für Volkskrankheiten wie Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, Depressionen und sogar Krebs signifikant ansteigt, wenn man dauerhaft gegen seine innere Uhr lebt.

Viele assoziieren die innere Uhr mit Schlaf. Dieser stellt eine kritische Funktion für unseren Körper dar. Er ist wichtig für die Gedächtnisbildung und die Reinigung von Abfallstoffen aus dem Gehirn. Wenn wir durch ein Leben gegen die innere Uhr zu kurz schlafen oder eine schlechte Schlafqualität erleben, kann das also erhebliche Konsequenzen für unsere Gesundheit haben.

Die innere Uhr reguliert aber nicht nur Schlafen und Aufwachen, sondern auch viele weitere Körperfunktionen, wie zum Beispiel die Verdauung, den Blutdruck oder die Körpertemperatur. Wir fangen gerade erst an, dieses Wissen auch medizinisch zu nutzen: Schmerzen werden über den Tag unterschiedlich wahrgenommen. Bei der rheumatoiden Arthritis etwa schmerzen die Gelenke verstärkt am Morgen. Eine Pille käme dann zu spät, denn die Entzündungsbotenstoffe steigen bereits nachts an. Deshalb haben Forschende bei uns an der Charité Medikamente entwickelt, die abends eingenommen werden, aber ihre Wirkstoffe erst Stunden später freisetzen.

Nun ist es aber so, dass wir nicht alle die gleiche innere Uhr haben, sondern sie tickt genetisch-bedingt bei jedem Menschen individuell. Deswegen gibt es auch verschiedene Chrono- und Schlaftypen in unserer Gesellschaft. In der Wissenschaft sprechen wir von drei Chronotypen – den Frühtyp (auch Lerche genannt), den Spättyp (auch Eule genannt) und den Normaltyp (auch Taube genannt). Das Wissen über den exakten Chronotypen und somit die innere Uhr wird uns zukünftig ermöglichen, personalisierter und dadurch wirksamer zu therapieren. Das Feld der sogenannten Chronotherapie wird zurzeit von vielen Chronobiologen weltweit stark erforscht. Einige meiner Kollegen und Kolleginnen   konnten in den letzten Jahren schon zeigen, dass die Tageszeit-optimierte Gabe von Chemotherapeutika zu signifikant besseren Ergebnissen bei Krebspatienten führt.

Die Arbeit unserer Arbeitsgruppe an der Charité in den letzten Jahren lag darin, den individuellen Chronotyp objektiv und einfach bestimmen zu können. Vorher konnte dies nur über subjektive Fragebögen (MCTQ oder MEQ) oder das sehr aufwändige Dim-Light-Melatonin-Onset (DLMO) Verfahren (12 Speichelproben über 6 Stunden, entnommen abends in einem abgedunkelten Raum) erreicht werden. Durch langjährige Forschung ist es jetzt möglich, den Chronotyp und die innere Uhr mit einer einzigen Haarprobe (vormals: Blutprobe [3]) zu bestimmen, die von jedermann zuhause und selbständig entnommen werden kann. Damit wurde die wissenschaftliche Basis geschaffen, um Chronotherapie aber auch die Optimierung von Schlafenszeiten, Arbeitszeiten, Essenszeiten und Sportzeiten in der Breite praktisch möglich zu machen. Somit hat heute jeder Mensch die Möglichkeit das Wissen über die individuelle innere Uhr bestmöglich für sich und die eigene Gesundheit zu nutzen.

Fazit & AMM-Empfehlungen

Das Wissen zur inneren Uhr schafft eine ganz neue Perspektive der Personalisierung der Medizin. Die Berücksichtigung des individuellen Chronotyps wird entscheidend dazu beitragen, dass Therapien besser wirken, Menschen besser schlafen und Krankheiten vermieden werden können. Ein neuartiger Haartest macht es möglich, die innere Uhr auf einfache und objektive Weise zu bestimmen. Damit wird es machbar, die innere Uhr in der Praxis auch anzuwenden.

Einen weiteren Einblick in das Thema der inneren Uhr bietet Ihnen das Spitzen-Gespräch zwischen Prof. Jörg Spitz und Prof. Achim Kramer „Der Rhythmus des Lebens“

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Mehr Informationen

Quellen:

  1. T. Roenneberg, et al. (2012) Social Jetlag and Obesity. Current Biology. https://doi.org/10.1016/j.cub.2012.03.038
  2. F. Leví, et. al (2010) Circadian timing in cancer treatments. PubMed (2010). https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20055686/
  3. A. Kramer, et. al. (2018) High-accuracy determination of internal circadian time from a single blood sample. The Journal of Clinical Investigation (2018). https://www.jci.org/articles/view/120874

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kanyanat / stock.adobe.com