Melanie Joußen

Ein Gastbeitrag von Melanie Joußen

Gemäß der letzten statistischen Erhebung von 2023 leben in Deutschland rund 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. Das sind circa 9,3 % der Bevölkerung.

 

Aktuelle Situation von Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland

Als schwerbehindert gilt eine Person dann, wenn durch das zuständige Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von mindestens 50 anerkannt wurde [1] Schwerbehinderungen können dabei ganz unterschiedliche Ausmaße von körperlicher, seelischer, geistiger oder Mehrfachbehinderungen aufweisen. Sie können sowohl angeboren sein als auch im Laufe des Lebens auftreten. Da in Deutschland keine Meldepflicht für Behinderungen besteht, ist es schwierig, die genauen Zahlen zu ermitteln, auch gibt es in den verschiedenen Sektoren keine eindeutigen Verfahren zur Erfassung. So wird beispielsweise im Bereich der Schwerhörigkeit bis heute die repräsentative Untersuchung zur Hörfähigkeit von Dr. Sohn aus dem Jahr 1999 zur Hochrechnung genutzt [2].

Herausforderungen in der Gesundheitsprävention für schwerbehinderte Menschen

Entsprechend dieser Faktenlage gibt es nicht nur im Hinblick auf die medizinische Versorgung oftmals große Lücken, auch im Bereich der Gesundheitsprävention fallen vor allem spezifische, eher untypische Patientengruppen fast vollkommen aus dem Angebotsspektrum heraus. Bei der Planung von Maßnahmen stehen die bekannten Risikofaktoren wie beispielsweise Diabetes, Adipositas, Hypertonie, oder auch verschiedene bewegungseinschränkende Erkrankungen wie Rückenschmerzen, Arthrose, und so weiter im Vordergrund. Dementsprechend werden auch die Gruppen spezifisch ausgewählt. Zumeist vollkommen übersehen werden dabei die persönlichen Risikofaktoren schwerbehinderter Menschen. Gar nicht berücksichtigt werden in solchen Fällen oftmals Menschen mit geistiger Behinderung. Außerdem ist die Teilnahme an präventiven Maßnahmen nicht selten durch erhebliche Barrieren in Bezug auf räumliche, aber auch praktische Gestaltung gekennzeichnet, die die Organisatoren nicht bedenken. Auch die finanzielle Zugänglichkeit für diese Interessentengruppen sei hier erwähnt. So lag die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen 2023 laut der Bundesagentur für Arbeit bei 11,9 %. [3] Auch liegt das Armutsrisiko in Deutschland 8,2 % höher als bei Menschen ohne Behinderung. [4] Gerade das Armutsrisiko betrifft dabei nicht nur den schwerbehinderten Menschen selbst, sondern auch seine Familie.

Lösungsansätze für eine inklusive Gesundheitsprävention

Vielen ist demnach ein Zugang zu Maßnahmen aus rein praktischen Gründen verwehrt. Dabei stellen gerade die Behinderungen an sich oftmals große Risikofaktoren für Folgeerkrankungen oder behinderungsbedingte Verletzungsrisiken dar. Diese bedürfen einerseits einer guten interdisziplinären medizinischen Versorgung, als auch einer gut vernetzten Therapeuten- und Beraterstruktur. So könnten durch bestehende Kooperationen von medizinischem, therapeutischem und beratenden Fachpersonal die Betroffenen ganzheitlich aufgefangen und hinsichtlich ihrer persönlichen gesundheitlichen Bedürfnisse bestmöglich versorgt und aufgeklärt werden. Dies bringt natürlich ein hohes Maß an Anforderungen für das Fachpersonal mit sich. Nicht nur der Arzt, sondern auch der Therapeut und Berater muss befähigt sein sich in die Lage eines behinderten Menschen hinein versetzen zu können und dessen Bedürfnisse, aber vor allem auch dessen Fähigkeiten und Ressourcen einschätzen zu können. Hier ist nicht nur Fachwissen, sondern auch Empathiefähigkeit gefragt. Hinsichtlich der Angebotsstruktur im präventiven Bereich könnten beispielsweise bestehende Module so angepasst werden, dass auch schwerbehinderte Menschen daran teilnehmen könnten. Möglich und für bestimmte Gruppen sinnvoll wären hier auch gezielte Angebote, die in Kooperation mit entsprechenden Fachpraxen oder auch Selbsthilfeorganisationen ausgerichtet werden könnten. Die Frage, ob eine Inklusion oder eher ein gruppenspezifisches Angebot passender ist, hängt vom allgemeinen Gesundheitsthema sowie den Fähigkeiten des Einzelnen ab. Klar ist jedoch, dass eine Einbeziehung von Menschen mit einer Schwerbehinderung in Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge zwingend notwendig und sinnvoll ist.

Fazit

Während präventive Maßnahmen für die klassischen Risikogruppen einen immer wichtigeren Platz in der neuen Gesundheitskultur einnehmen, wird die Gruppe der schwerbehinderten Menschen weiterhin viel zu wenig berücksichtigt. Gerade für diese Patientengruppe besteht oftmals ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen oder Verletzungen. Ärzte, Therapeuten und Berater sollten stets bemüht sein sich fachlich mit verschiedenen Behinderungsformen auseinander zu setzen und den Menschen mit Empathie und Verständnis entgegenzutreten. Neben der Integration in bestehende Angebote kann es weiterhin auch sinnvoll sein, Maßnahmen direkt in Kooperation mit Fachpraxen oder Selbsthilfeorganisationen auszurichten, um diese Patientengruppe auch erreichen zu können und ihnen die Teilnahme möglich zu machen.

Über die Autorin

Portraitfoto der AMM-Netzwerkpartnerin Melanie Joußen

Melanie Joußen ist seit ihrer Geburt blind. In ihrer Arbeit als ganzheitliche Gesundheitsberaterin sowie der Kooperation mit einer TCM-Praxis begleitet sie Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Erkrankungen. Sie weiß aus eigener Erfahrung auch um die Barrieren, die eine Schwerbehinderung gerade in Bezug auf das Gesundheitssystem mit sich bringen können.

Mehr Informationen zu Melanie Joußen finden Sie auf ihrer Partnerseite bei der AMM.

Quellen

  1. Schwerhörigen-Netz: Statistiken
    www.schwerhoerigen-netz.de/statistiken
  2. Arbeitsmarktanalyse für schwerbehinderte Menschen (Bundesagentur für Arbeit, Dezember 2023, PDF)
    Download PDF
  3. Statista: Bevölkerungsanteil, der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht ist
    Zur Infografik
  4. Statistisches Bundesamt (Destatis): Gesundheit und behinderte Menschen
    www.destatis.de

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