Ethnomedizin ist ein spannender Forschungsbereich, der seit einigen Jahren eine Renaissance erlebt. Dieser wissenschaftliche Bereich verfolgt unter dem Motto „Heilen im Dialog“ das Ziel, altes bewährtes Wissen der Weltmedizin neu zu entdecken, auf den wissenschaftlichen Prüfstand zu stellen sowie das Beste aus dem Medizinwissen der Kulturen herauszupicken und dann das Bestätigte in unserem Gesundheitssystem zu integrieren. Das überlieferte Wissen über die Kunst des Heilens gleicht einer Schatztruhe voll mit spannendem Erfahrungswissen, das über die Jahrtausende in allen Kulturen von Medizinmännern, Kräuterfrauen und Schamanen zum Wohle ihrer sozialen Gemeinschaft zusammengetragen und an die folgenden Generationen weitergegeben wurde. Sie hatten ein Ziel vor Augen: Das Leben der Menschen um sie herum zu erleichtern und zu bereichern. Bewährtes wurde bewahrt und an die nächste Generation weitergegeben.

Schauen wir uns ein paar banale und doch richtungsweisende Unterschiede zu unseren Gewohnheiten an.

Nahrung zur Erhaltung von Kraft, Gesundheit und Selbstheilung

Massai wählen von Kindheit an ihre Nahrung mit der Intention gesund und stark zu bleiben aus. Nahrung wird gezielt zur Stärkung des Körpers eingesetzt. Über den Hunger zu essen, Dinge zu essen, von denen bekannt ist, dass sie schwach und krank machen und das Leben verkürzen, liegt außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Das, was sicher mal aus der Not geboren wurde, ist heute zu einer Tugend geworden. Die Häufigkeit der Nahrungsaufnahme würde man bei uns als intermittierendes Fasten bezeichnen; eine 16-stündige Nahrungskarenz über Nacht ist normal. Selbst Kinder bekommen erst um 10 Uhr ihre Morgenmahlzeit, meist Porridge. Das Essen kennzeichnet sich in den meisten Fällen durch eine sehr einfache Zusammensetzung aus, Makande (gekochter Mais mit Bohnen), Ugali (Maismehl mit Gemüse) und viel Gemüse in Verbindung mit Heilwurzeln unterschiedlichster Art. Das Entscheidende: Industriell gefertigte Nahrungsmittel, Zucker und Weißmehl sind tabu. Dies schützt nicht nur das Mikrobiom, sondern beugt auch einer Verkalkung und Vergiftung der Zirbeldrüse vor. Es wird nur so viel gegessen, dass der Hunger gestillt wird. Zwischenmahlzeiten gibt es nicht. In Studien konnte belegt werden, dass solch eine kontrollierte Art der Nahrungsaufnahme die Reparaturfähigkeit des Körpers verbessert, die Entgiftung des Fettgewebes fördert, den Blutdruck im Gleichgewicht hält, antientzündlich wirkt und einer reichen Diversität und Abwehrkraft des Mikrobioms zuträglich ist.

Bewegung in der Natur als Heilfaktor

Massai bewegen sich regelmäßig und viel in der Natur, so wie es dem Menschsein seit Jahrtausenden entspricht. Bewegung ist dabei nicht zuerst auf ein Ziel ausgerichtet, sondern integrativer Teil des Lebens und nicht sportliche Betätigung zum Ausgleich von zu viel sitzender Tätigkeit. So bleibt das vegetative Nervensystem in Balance, Adrenalindominanz kann rechtzeitig abgebaut werden und die Zirbeldrüse kann ihre Funktion regelrecht ausführen. Jeder Bewegungsablauf entspricht eher einer meditativen Fortbewegung und erweckt den Eindruck, dass sich hier jemand in seinem Rhythmus im Hier und Jetzt bewegt, ohne dabei in ein Zeitkorsett eingezwängt zu sein. Der Zeithorizont erstreckt sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und die Dinge werden getan, die „dran“ sind – so, als gäbe es kein Morgen. Ein starker aktiver Vagusnerv ist das Resultat.

Balance als Heilfaktor

Die aufrechte Haltung erlernen vor allem die Mädchen schon sehr früh, indem sie Holz und Wasserkübel auf dem Kopf tragen. Die tägliche Übung der Balance über lange Distanzen ist einzigartig und scheint zu einer inneren Haltung beizutragen, die Stolz, Zentriertheit der Gedanken im Hier und Jetzt erkennen lässt. Damit strahlen sie nicht nur innere Stärke aus, sondern sie scheinen auch eine besondere Sensibilität entwickelt zu haben, Ungleichgewichte frühzeitig zu erkennen und wie selbstverständlich gegenzusteuern. Ob es sich um körperliche Symptome handelt oder gestörte Gleichgewichte im sozialen Gefüge. Dies ist ein optimales Training für Hypothalamus und Zirbeldrüse.

Im ureigenen Rhythmus lebt es sich leichter, Teilen und gemeinsames Erleben ist ein wichtiger Grundsatz bei den Massai und Meru. Feste Familien- und Stammes-Strukturen geben Schutz und Halt – Fürsorge füreinander stärkt Zusammenhalt und Gemeinschaftsbewusstsein. Neben dem bereits erwähnten Rhythmus im Gehen finden wir diesen auch in vielen anderen Bewegungsabläufen. Stundenlange Trance-ähnliche oft monoton anmutende Tänze z. B. schaffen Raum für intensives inneres Erleben. Auch der Rhythmus im Gesang hat in der Gruppe eine spezielle heilende Frequenz. Jeder Gesang hat seine Bedeutung und ist zusammen mit der dazu gehörenden Bewegung Teil eines Rituals.

Heilmittel der Massai

Oltemwai-Harz

Das Harz vom Oltemwai-Baum wird von den Massai bei Hauterkrankungen eingesetzt. Die Rinde des Baumes wird angeritzt und das Harz tröpfchenweise geerntet. Die milchig, cremige Konsistenz lässt es wie ein Hautöl gut in die Haut einwirken. Es hat eine starke Wirkung auf akute und chronische Hautekzeme.

Moringa

Die Blätter beinhalten mehr als 90 Nährstoffe, 46 Antioxidantien. Mit einem ORAC-Wert („Oxygen Radical Absorbance Capacity“) von 46.000 pro 100 Gramm gilt Moringa als wahrer Jungbrunnen, da Antioxidantien eine wichtige Rolle beim Alterungsprozess spielen. Sie hat einen hohen Mineralstoff-Gehalt an Eisen, Magnesium, Kalzium, Kupfer, Zink, Phosphor, Kalium u.v.a., beinhaltet fast alle Vitamine und 18 von 20 Aminosäuren. Die Blätter sind somit ein starkes Multivitamin, das in dieser Zusammensetzung vom Darm sehr gut aufgenommen werden kann. Die geriebenen Moringa-Wurzeln helfen bei Diabetes, Gelenksschmerzen und Asthma. Moringa-Samen wirken stark entgiftend. 4 bis 5 geriebene Samen können einen Kübel Wasser von Bakterien reinigen. Sowohl bei viralen, bakteriellen als auch toxischen Belastungen werden sie zusammen mit Algenextrakten eingesetzt.

Weihrauch, Ingwer, Curcuma, Myrrhe

Sie spielen in der Therapie von Rheuma und Krebserkrankungen, denen schleichende Entzündungsprozesse zu Grunde liegen, eine immer entscheidendere Rolle. Während bei den Massai meist Dekokte nach traditionellen Rezepten hergestellt und quasi „pi mal Daumen“ dosiert werden, verwende ich in der meiner Praxis Extrakte aus diesen vier Heilpflanzen in Kapselform in genau dosierter Menge und bei Kurpatienten in Form von Infusionen. Hochdosierte Infusionen mit Weihrauch, Curcuma und Ingwer werden in der neuen Hochdosis-Naturmedizin immer mehr zur schnellen Senkung von schleichenden Entzündungsprozessen eingesetzt. Sie verfügen, richtig angewendet, bis zu 70 Prozent der entzündungshemmenden Wirkkraft von Kortison, ohne aber dessen Nebenwirkungen.

Bryophyllum

Eine andere herausragende Heilpflanze ist z. B. Bryophyllum (Kalanchoe). Sie wird frisch geerntet und hat neben einer antiinflammatorischen und antibakteriellen, auch einen starken muskelrelaxierenden Effekt. Traditionell wird diese Heilpflanze bei unerfülltem Kinderwunsch mit großem Erfolg eingesetzt. Bei uns wird sie vor allem in Kombination mit Passionsblume bei Beschwerden im gynäkologischen Bereich wie PMS, zur Muskelentspannung, bei Migräne und zur Entspannung des ZNS (verstärkende Wirkung auf das GABA-System) verwendet.

Aloe Vera

Die altbekannte Aloe Vera findet auch in Ostafrika viel Verwendung. Diese Heilpflanze wird bei Beschwerden des Magen-Darm-Traktes eingesetzt. Sie wirkt entgiftend und antiinflammatorisch auf die Darmschleimhaut und wird bei Ekzemen, Verbrennungen, kleinen Verletzungen und bei alternder Haut eingesetzt.

Zitronengras

Zitronengras (Cymbopogon citratus, Mchai chai) ist überall auf der Welt weit verbreitet. Am Rande des Arusha Nationalparks wächst es besonders gut und ist leicht zu ernten. Es wird den Patienten bei Erkältungen als Tee zusammen mit Ingwer, Zitrone und stachellosen Bienenhonig verschrieben. In großen Mengen getrunken hat es auch einen reinigenden Effekt, vor allem der Nieren, und ist Teil verschiedenster Detoxprogramme. Da es auch entspannende Eigenschaften aufweist, verwenden wir es bei Schlafstörungen und schmerzhaften Spannungszuständen.

Weiterführende Materialien und Links

Bildquellen:

Foto von Randy Fath auf Unsplash

Foto von Ian Macharia auf Unsplash

Foto von John McArthur auf Unsplash