Wie aus einer aktuellen Pressemitteilung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hervorgeht (BiB PM vom 22.5.2024) gehört „Deutschland in Westeuropa zu den Schlusslichtern bei der Lebenserwartung und verliert weiter den Anschluss“. Grundlage dieser alarmierenden Feststellung ist eine aktuelle Studie des BIB in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für demografische Forschung [1].

Bild 1: Lebenserwartung bei Geburt in Deutschland und Westeuropa-Länder (ohne Deutschland), 1960–2022, graue Linien: Verlauf in den einzelnen Ländern. Aus [1] Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland im internationalen Kontext

Wie Bild 1 zeigt, weist Deutschland im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern eine erhöhte Sterblichkeit in den mittleren und höheren Altersgruppen auf. Dabei hat sich der Rückstand Deutschlands in der Lebenserwartung gegenüber dem Durchschnitt der anderen westeuropäischen Länder gerade in den letzten 20 Jahren weiter vergrößert. Lag Deutschland im Jahr 2000 bei den Männern 0,73 Jahre und bei den Frauen 0,74 Jahre zurück, so waren es 2019 bereits 1,43 bzw. 1,34 Jahre. Dies ist vor allem auf die Sterblichkeit an nichtübertragbaren Krankheiten zurückzuführen.

Was wurde untersucht?

In dieser Veröffentlichung analysierten die Forscher die langfristige Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland aus einer international vergleichenden Perspektive. In einer vorhergehenden Studie hatten sie aufgezeigt, dass Deutschland trotz eines hohen wirtschaftlichen Entwicklungsstands, eines stark ausgebauten Wohlfahrtsstaats und eines prinzipiell gut zugänglichen und leistungsfähigen Gesundheitssystems seit Langem eine verhältnismäßig niedrige Lebenserwartung aufweist [2]. Anhand dieser Studie konnten sie belegen, dass das deutsche Langlebigkeitsdefizit im Vergleich zu Vorreiterländern, wie etwa der Schweiz, Frankreich, Spanien oder Japan, vor allem auf einen Nachteil in der Sterblichkeit im höheren Erwachsenenalter zurückzuführen ist (bei Männern ab 50 Jahren, bei Frauen ab 65 Jahren). Hinsichtlich der Todesursachen erklärte sich der Rückstand insbesondere durch eine höhere Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dies gilt selbst im Vergleich zu anderen „Nachzüglerländern“ wie den USA und dem Vereinigten Königreich. Die immer noch hohe kardiovaskuläre Sterblichkeit in Deutschland scheint auch auf unzureichende Prävention und Primärversorgung zurückzuführen zu sein [2].

Die aktuelle Studie erweitert die Diskussion über den deutschen Rückstand bei der Lebenserwartung im Verhältnis zu Ländern mit ähnlichem ökonomischen Entwicklungsstand in mehrfacher Hinsicht. Erstens vergleichen die Forscher die Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland mit einer größeren Anzahl von Ländern. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Mitgliedern der Europäischen Union vor der ersten Osterweiterung im Jahr 2004 (EU–15), welche überwiegend in Westeuropa liegen, sowie auf die Schweiz. Zweitens wurden die langfristigen Trends und Muster von Deutschlands Positionierung in internationalen Rangfolgen bei der Sterblichkeit untersucht. Und drittens präsentiert die Studie eine detaillierte Analyse der Muster nach Alter. Der Analyse ist auf den Zeitraum seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 konzentriert. Damit die seit 1990 beobachteten Muster in einen längerfristigen Kontext gesetzt werden können, wurde die unsere Analyse mit einer Auswertung grundlegender Mortalitätsindikatoren seit 1960 ergänzt.

Was sind die Ergebnisse aus Sicht der Forscher?

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Lebenserwartung in Deutschland seit Jahrzehnten hinter der im restlichen Westeuropa zurückbleibt und dass sich dieser Rückstand seit den 2000er-Jahren vergrößert hat. Um diese rückläufige Entwicklung umzukehren, müsste die Sterblichkeit in Deutschland schneller gesenkt werden als in anderen Ländern, was kurzfristig jedoch schwer zu erreichen ist.

Insbesondere in höheren Altersgruppen müsste eine weitere Verringerung der Sterblichkeit erzielt werden, um Deutschlands Rückstand bei der Lebenserwartung in Westeuropa zu überwinden. Diesbezüglich besteht besonders bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen Handlungsbedarf. Die genauen Gründe für den Widerspruch zwischen einer gut finanzierten, technologisch fortschrittlichen und gut zugänglichen Gesundheitsversorgung und der schlechten Platzierung Deutschlands bei der Lebenserwartung, insbesondere im Bereich der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sind noch nicht ausreichend erforscht. Repräsentative und international vergleichbare Daten zur Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und deren Risikofaktoren sind immer noch sehr rar. Es gibt keine überzeugenden und systematischen Belege dafür, dass Deutschland bei der Prävalenz vieler bekannter Risikofaktoren, wie Rauchen, Übergewicht und körperlicher Aktivität, deutlich schlechter abschneidet als andere Länder mit einem ähnlich hohen Wohlstandsniveau. Allerdings weisen internationale Daten darauf hin, dass die Bevölkerung in Deutschland durchschnittlich schlechtere Ernährungsgewohnheiten aufweist, insbesondere in Bezug auf das geringere Angebot und den vergleichsweisen mäßigen Konsum von Gemüse und Obst. Auch wenn das Rauchen aktuell wenig Einfluss auf die Lücke zum restlichen Westeuropa hat, ist zu erwarten, dass die rauchbedingte Sterblichkeit bei Frauen in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten im westeuropäischen Vergleich überdurchschnittlich zunehmen wird. Deutschland nahm unter den ökonomisch hoch entwickelten Ländern über einen langen Zeitraum hinweg im internationalen Vergleich einen der letzten Plätze in Bezug auf die öffentliche Gesundheitspolitik ein, insbesondere in den Bereichen Tabak- und Alkoholprävention sowie Ernährung.

Um klarere Erkenntnisse über den Einfluss verschiedener Risikofaktoren und der Gesundheitspolitik auf die aktuelle und zukünftige Sterblichkeit zu gewinnen, sind Todesursacheninformationen erforderlich. Obwohl die internationale Vergleichbarkeit von todesursachenspezifischen Daten teils in der Kritik steht, sollte die Verwendung großer Todesursachengruppen wie der Gruppe der Herz-Kreislauf-Erkrankungen für die meisten Altersgruppen belastbare Ergebnisse erzielen. Eine detailliertere Analyse der Mortalität nach Ursachen innerhalb der ICD-Kapitel (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten) wäre erforderlich, um den Einfluss verschiedener Risikofaktoren besser zu verstehen. Datenlimitationen in Deutschland schränken jedoch die internationale Vergleichbarkeit ein, bedingt durch die dezentrale Datenerhebung und Kodierung sowie eine langsame Implementierung von Kodierungssoftware in den Bundesländern. Eine größere Harmonisierung des Prozesses der Datenerhebung und -kodierung sowie die statistische Erfassung multikausaler Mortalitätsdaten im Kontext von ICD-11 bieten neue Möglichkeiten für eine tiefgreifende Analyse der Sterblichkeit, wobei Deutschland hinter vielen europäischen Ländern zurückliegt.

Die hohe Morbidität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, komplexe chirurgische Behandlungen, übermäßige Krankenhausaufenthaltsraten und der hohe Prozentsatz von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Krankenhäuser erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien und mit Multimorbidität erreichen, deuten auf Versäumnisse bei der Prävention, Früherkennung und Behandlung hin. Eine unzureichende Früherkennung und ein geringes Bewusstsein wurden auch bei anderen Krankheiten beobachtet, die ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse aufweisen, wie etwa bei chronischen Nierenerkrankungen. Um den Einfluss dieser Herausforderungen auf die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland genauer zu bestimmen, sind eingehendere und landesweit repräsentative Studien erforderlich. Die NAKO-Gesundheitsstudie, für die nun erste Daten verfügbar sind, bietet hier großes Potenzial.

Fazit der Studie aus Sicht der Forscher

Obwohl Deutschland im internationalen Vergleich erhebliche Ressourcen in sein Gesundheitssystem investiert, fällt die Lebenserwartung im westeuropäischen Vergleich zunehmend zurück. Gleichzeitig stehen Deutschland und das Gesundheitssystem durch die Alterung der Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten vor großen Herausforderungen. Der vorhergesagte Anstieg der Bevölkerung im Alter über 80 Jahren von aktuell 6 auf etwa 9 Millionen Ende der 2040er-Jahre deutet darauf hin, dass der Bedarf an Gesundheitsleistungen bei Beibehaltung des Status quo deutlich steigen würde. Dies würde die ohnehin überhöhten Gesundheitsausgaben weiter in die Höhe treiben.

Um die Nachhaltigkeit der Finanzierung und des Funktionierens des Gesundheitswesens zu gewährleisten, ist eine Neuadjustierung von Prioritäten und Investitionen im Gesundheitswesen dringend erforderlich. Eine stärkere Fokussierung auf die Prävention und Früherkennung chronischer Krankheiten bietet hierbei viel Potenzial. Diese Verlagerung sollte zeitnah erfolgen, damit auch die Babyboomer-Kohorten noch davon profitieren und gesünder altern können. Ein weiteres Zurückdrängen des Konsums von Tabakwaren, Alkohol und anderen Suchtmitteln könnte ebenfalls zu Fortschritten beitragen.

Was bedeutet das aus unserer Sicht?

Das Resümee der Wissenschaftler bringt es auf den Punkt: Völlig überhöhte Kosten im deutschen Gesundheitswesen, mangelndes Gesundheitswissen in der Bevölkerung und damit deutlich erhöhte Risiken vor allem bei der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und in der Masse kaum Bewusstsein für die Möglichkeiten, selbst präventiv und gesundheitsfördernd zu leben.

Die Leser der Veröffentlichungen der Akademie für menschliche Medizin haben jedoch bereits eine andere Bewusstseinsebene erreicht. Sie verstehen die Wirksamkeit relativ einfacher Präventions- und Lebensstilmaßnahmen und haben damit die Chance, der allgemeinen Statistik ein Schnippchen zu schlagen und gesund und lange zu leben.

Quellen:

[1] Grigoriev, P., Sauerberg, M., Jasilionis, D. et al. Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland im internationalen Kontext. Bundesgesundheitsbl 67, 493–503 (2024). https://doi.org/10.1007/s00103-024-03867-9.

[2] Jasilionis D, van Raalte AA, Klüsener S, Grigoriev P (2023) The underwhelming German life expectancy. Eur J Epidemiol 38:839–850. https://doi.org/10.1007/s10654-023-00995-5

Bildquellen:

Bild1: https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-024-03867-9/figures/1, gemäß https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Beitragsbild: photosaint /stock.adobe.com

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