Selbstheilungsprozesse und deren Stimulation sind in der Heilbehandlung, wie auch in der Gesundheitsvorsorge von zentraler Bedeutung. Das Wissen um die besondere Rolle dieser Selbstheilungskräfte wurde schon früh in der Medizin beschrieben. So wird dem großen Denker und Philosophen Voltaire (*21. November 1694) folgende Aussage zugeschrieben:

"Die Kunst der Medizin besteht darin, den Kranken solange bei Stimmung zu halten, bis die Natur die Krankheit geheilt hat."

Heutzutage beschäftigt sich insbesondere die Regenerative Medizin mit der Stimulation körpereigener Regenerations- und Reparaturprozesse.

Für die Gesunderhaltung eines jeden Menschen ist die volle Funktionsfähigkeit seiner Zellen von zentraler Bedeutung. Für Zellbiologen stehen hierbei die Zellen des Menschen im Fokus, wobei auch hier immer die Sicht auf den gesamten Menschen ausgerichtet ist. Ein wichtiger Faktor hierbei ist die Intaktheit der genetischen Information. Viele Arbeiten zielen deshalb darauf ab, Faktoren zu identifizieren, die Schäden an der Erbinformation verursachen (genotoxische Wirkungen). Täglich entsteht aber die enorme Anzahl von etwa 50.000 DNA-Schäden pro Zelle in unserem Körper. Somit haben gerade auch hier Reparaturprozesse und deren Stimulation eine wichtige Funktion bei der Gesunderhaltung und -werdung unseres Körpers. Neben der Stimulation der Reparaturkapazität untersuchen wir u.a. auch den Einfluss zellulärer Regenerationsprozesse und stark geschädigter Zellen auf die Gesundheit. Herzstück all dieser regenerativer Vorgänge sind die Mitochondrien und ihre vielfältigen Funktionen.

Ein Blick in die Kraftwerke unserer Zellen

Mitochondrien werden häufig als "Kraftwerke der Zelle" bezeichnet. Gemeint ist hiermit ihre bekannteste Funktion, die Regeneration von Adenosintriphosphat (ADP) dem universellen Energieträger unserer Zellen. Diese Funktion ist von großer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit unserer Zellen und somit unseres Organismus. Sie spiegelt jedoch nur annähernd das wider, was Mitochondrien imstande sind zu leisten. Sie spielen u.a. eine zentrale Rolle bei der Apoptose (gesteuerter Zelltod), der Anpassung des zellularen Redoxpotenzials, der Synthese von Eisen-Schwefel-Clustern sowie bei pro- und anti-inflammatorischen Immunantworten. Seit Kurzem weiß man, dass intakte Mitochondrien (oder Mitochondrienbestandteile) "ihre" Zellen sogar verlassen können. Sie können so als Signal-Organell verschiedenste Reaktionen auslösen und sogar defekte Mitochondrien in anderen Zellen ersetzen. Ein weiteres Charakteristikum der Mitochondrien ist, dass Sie eine extrachromosomale DNA in einer hohen Zahl von Kopien besitzen. Die hier codierten dreizehn Proteine sind ausschließlich Bestandteile der Multienzymkomplexe der Atmungskette. Auch hieraus resultieren zahlreiche Besonderheiten, wie z.B. fehlende Methylierungsmuster (die stark immunogen wirken können) oder besondere Reparaturmöglichkeiten, aufgrund des heteroplasmatischen Vorliegens dieser DNA (Vorhandensein von mehr als einer Art von genetischem Material). Auch aus den hier genannten Gründen sind Bezeichnungen wie z.B. "Energiesklaven" für unsere Mitochondrien schlichtweg irreführend. Ganz im Gegenteil, je mehr wir über Mitochondrien erfahren, desto mehr erkennt man die Faszination, die von diesen Strukturen ausgeht. Es ist somit nicht verwunderlich, dass Mitochondrien eine zentrale Funktion bei der Behandlung und Vermeidung von Krankheiten, wie auch für einen gesunden Alterungsprozess spielen.

Neue Möglichkeiten und Perspektiven in der Medizin

Die mitochondriale Medizin, hat sich gerade in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt auch innerhalb der regenerativen Medizin entwickelt. Dieses wird unterstrichen durch neuartige Methoden der Diagnostik, sowie innovative präventive und therapeutische Ansätze, die insbesondere auch das Herz-Kreislauf-System betreffen. Im Herzen ist der Bedarf an ATP besonders groß. Die Zellen besitzen hier im Vergleich zu anderen Geweben einen hohen Anteil an Mitochondrien. Der Volumenanteil von Mitochondrien im Myokard beträgt ca. 36 %. Mitochondriale Dysfunktion spielen somit eine entscheidende Rolle in der Pathogenese von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Dysfunktionen resultieren in einer Reduktion der ATP-Produktion und einer vermehrten Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS). Ischämie- und Reperfusionsschäden (Schäden durch eine wiederhergestellte Durchblutung nach einer mehr oder weniger lang andauernden Minderdurchblutung) der Kardiozyten (Herzmuskelzellen) werden wesentlich geprägt von einer mitochondrialen Apoptose, die ebenfalls in mitochondriale Dysfunktionen mündet. Bereits wenige Herzzellen mit beschädigten Mitochondrien (eingeschränkter Funktion / Deletion mt-DNA) können ausreichen, um Herz- Rhythmusstörungen auszulösen (Mosaikmangel). Zudem akkumulieren im Alter weitere Zellen mit einem hohen Gehalt an mutierter bzw. deletierter mitochondrialer DNA (Hypothese des mitochondrialen Alterns). Es gibt inzwischen verschiedene Ansätze, um einer Abnahme der mitochondrialen Funktion entgegenzuwirken. Diese Therapiemöglichkeiten können zudem durch neuartige Diagnostikmethoden unterstützt werden.

Beispielhaft sind hier Mitoceutical (Coenzym Q10) und die Zelltherapie (Mitochondrientransplantation) zu erwähnen. Anwendungsbeispiele von Diagnostikmethoden in der Mitochondrialen Medizin sind PCR-Methoden und die Messung der Sauerstoffverbrauchsrate/OCR.

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