Rainer Krutti

Die Psyche hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Körper. Auch im Alltagsleben macht sich diese Beziehung bemerkbar: wenn vor einer wichtigen Prüfung der Verdauungstrakt rebelliert oder wenn unser Herz klopft, wenn wir unserer neuen Liebe begegnen. Auch unsere Sprache bestätigt diesen Zusammenhang. Wir spüren „Wut im Bauch“, „Angst im Nacken“ etc. So ist es dann kaum verwunderlich, dass hinter 50 bis 75 Prozent aller Arztbesuche vor allem negativer Stress steht [1].

Wie Psyche und Körper kommunizieren

Unser emotionales Gehirn (limbisches System) funktioniert unabhängig vom Großhirn und kontrolliert psychisches Wohlbefinden sowie einen Großteil der Körperphysiologie [1]. Als „Erfüllungsgehilfe“ dient hierbei das autonome (vegetative) Nervensystem (ANS), das aus den zwei Ästen Sympathikus und Parasympathikus besteht, die ausgehend vom emotionalen Gehirn alle Körperorgane beeinflussen. Der Sympathikus steuert Kampf- und Fluchtreaktionen, weshalb seine Aktivität zum Beispiel den Herzschlag beschleunigt. Der Parasympathikus stellt die vom Sympathikus verbrauchte Energie zu Verfügung, indem er für Entspannung und Erholung sorgt und dabei den Herzschlag verlangsamt. Bei Säugetieren sind diese beiden Systeme – die sich mit „Bremse und Gaspedal“ vergleichen lassen – ständig im Gleichgewicht. Um die unvorhersehbare „Kurve des Lebens“ zu bewältigen, braucht man eine Bremse (Parasympathikus) und ein Gaspedal (Sympathikus). Und beide müssen in adäquatem Zustand und gleich leistungsfähig sein, um sich gegenseitig auszugleichen [1].

Es kommt zu einer Dysbalance im autonomen Nervensystem beziehungsweise zu einer autonomen Funktionsstörung, wenn wir uns aus einem Stresszustand nicht mehr lösen können, weil unsere Arbeit oder unser Lebensstil immer von Stress begleitet ist. Stress wird zu einem chronischen Zustand, der mit der Zeit zu einer Schwäche des Vagusnervs führt. Denn der Nervus vagus, auch X. Hirnnerv genannt, ist der Hauptnerv des Parasympathikus.

Da die beiden Äste des ANS den Herzschlag beeinflussen, lässt sich der Herzrhythmus dazu nutzen, die Aktivität des ANS zu analysieren. Anstatt monoton regelmäßig zu arbeiten, ist der Rhythmus eines gesunden Herzens – auch im Ruhezustand –unregelmäßig, wobei sich die Zeitspanne zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen ständig ändert. Diese natürlich auftretende Variation der Herzfrequenz wird als Herzratenvariabilität (HRV) bezeichnet. Die HRV ist also ein dynamischer Spiegel für die Funktion und das Gleichgewicht des autonomen Nervensystems.

Warum ist die HRV so wichtig?

Wissenschaftler und Mediziner betrachten die HRV als einen wichtigen Indikator für Gesundheit und Fitness. Als Marker für physiologische Belastbarkeit und Verhaltensflexibilität spiegelt sie unsere Fähigkeit wider, uns effektiv an Stress und Umweltanforderungen anzupassen.

Die HRV-Messung wird immer mehr zur Grundlage einer objektiven Beurteilung vieler somatischer und vor allem auch psychosomatischer Krankheitsbilder. Die wissenschaftliche Basis wird von Tag zu Tag größer, was ein Blick in die medizinische Literaturdatenbank PubMed zeigt: es gibt aktuell fast 57.000 Veröffentlichungen zum Thema „Heart Rate Variability“, und jedes Jahr kommen über 3.000 neue Studien hinzu. Auch in der Leistungsdiagnostik spielt die HRV-Analyse mittlerweile eine wichtige Rolle, da sie sehr gut dazu geeignet ist, übermäßige und damit kontraproduktive Trainingsbelastung aufzudecken.

HRV-Messung in der Praxis

Der Aufwand ist überschaubar, der Erkenntnisgewinn hingegen enorm, weshalb die HRV-Messung viel mehr Berücksichtigung finden sollte – gerade auch im therapeutischen Alltag. Insbesondere auch als Frühwarnsystem, also bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Außerdem sind Patienten viel eher bereit, sich um ihren Stress und ihre Entspannung zu kümmern, wenn sie schwarz auf weiß gesehen haben, wie es um ihre Erholungsfähigkeit bestellt ist. Die HRV-Messung ist für viele Patienten der zwingend notwendige „Schuss vor den Bug“, um sich endlich ihrer eigenen Gesundheit zu widmen.

HRV-Biofeedback-Training

Was tun, wenn das Ergebnis der HRV-Messung eine eingeschränkte Regulationsfähigkeit aufweist? Neben Bewegung und Entspannung ist HRV-Biofeedback-Training ein wichtiger Ansatz, um den Vagus zu stärken und die autonome Balance wieder herzustellen.

Beim Biofeedback-Training erhalten Patienten eine Rückmeldung über normalerweise unbewusst ablaufende Prozesse im Körper und lernen so, diese zu beeinflussen. Im Falle von HRV-Biofeedback-Training wird der Verlauf der Variabilität der Herzfrequenz in Echtzeit auf dem Bildschirm dargestellt. So kann der Patient während einer Übung direkt beobachten, wie gut diese funktioniert. Ein spezieller Zustand, der mit HRV-Biofeedbacktraining erreicht werden kann, ist die sogenannte „Herzkohärenz“. Befindet sich eine Person in einem kohärenten Zustand, gibt es eine Verschiebung im autonomen Gleichgewicht hin zu einer erhöhten parasympathischen Aktivität. Obwohl die physiologische Kohärenz einen natürlichen menschlichen Zustand darstellt, der spontan auftreten kann, ist eine längere Dauer eher selten und muss bewusst herbeigeführt werden. Dies geht mittels gezielter Atemübungen, am besten in Verbindung mit aktiv erzeugten positiven Emotionen.

Das wissenschaftliche Fundament wird immer breiter

Herzkohärenzübungen helfen nicht nur dabei, Stress zu reduzieren und für Wohlbefinden zu sorgen. So gibt es bspw. eine beachtliche Bandbreite von beobachtbaren positiven Wirkungen in der Behandlung gängiger chronischer Krankheiten [2]. Die Patienten äußern sich fast ausnahmslos zufrieden mit der Intervention. Sie berichten von Stressabbau und positiven Emotionen während des Biofeedbacks und auch von anhaltenden Erfolgen nach der Behandlung.

„Daher ist es (…) wichtig, den therapeutischen Nutzen der HRV sowohl bei der Stressreduktion als auch bei der Behandlung chronischer Krankheiten zu kennen.“ [3]

Fazit: HRV-Messungen eröffnen den Weg zu fundierter Hilfe

Immer mehr Menschen wollen aktiv zur eigenen Gesundheit beitragen. Biofeedback-Training der Herzratenvariabilität (HRV) fördert nachhaltig die Regulationsfähigkeit des autonomen Nervensystems (ANS) und damit die körperliche und auch die psychische Resilienz. Dabei wird insbesondere der Parasympathikus (Vagus-Nerv) – also die „Innere Bremse“ – aktiviert und so die HRV verbessert. Mit einfachen und schnell zu erlernenden Übungen.

HRV-Biofeedback-Training schlägt auch eine Brücke zu den meisten gängigen Krankheiten. Mit geeigneten Biofeedback-Systemen können Patient in Echtzeit verfolgen, wie gut es ihnen gelingt, ihre HRV positiv zu beeinflussen und damit ihr ANS zu regulieren. Diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit wirkt wie ein Turbo auf Motivation und damit auf Übungstreue und Therapieerfolg.

Um HRV-Messungen in der Praxis richtig einzusetzen und Patienten gezielt anzuleiten, ist es empfehlenswert, eine entsprechende Fortbildung zu besuchen. Denn um insbesondere das Ergebnis einer HRV-Messung richtig zu interpretieren, braucht es ein theoretisches Fundament und Tipps aus der Praxis.

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Quellenangaben:

  1. ↑1 ↑2 ↑3 Servan-Schreiber D. 2006. Die neue Medizin der Emotionen. München: Wilhelm Goldmann Verlag
  2. Fournié C, et al. 2021. Heart rate variability biofeedback in chronic disease management: A systematic review. Complement. Ther. Med. 60: 102750
  3. Prinsloo GE, et al. 2014. A brief review and clinical application of heart rate variability biofeedback in sports, exercise, and rehabilitation medicine. Phys. Sportsmed. 42, 2: 88-99